Saubad
Ich erinnere mich an warme Sommertage in denen wir jungen Menschen uns auf unsere alten und klapprigen Fahrräder setzen, unsere Badesachen samt einem Handtuch auf den Gepäckträger spannten und in Richtung Freibad fuhren.
Manche etwas ältere hatten bereits 10-Gangräder mit Sportlenker und zwei Bremshebel.
Wir kleineren hatten einen Bremshebel den wir aber nie nutzten, der junge Held benutze einfach die Rücktrittbremse und dies bevorzugt auf Schotter und Kies. Selbst auf heißem Asphalt war die Rücktrittbremse ein Statement, je länger der Gummiabrieb desto höher wurde der junge Primat von seinem Rudel geschätzt.
Der Höhepunkt der Saison war in den Sommerferien, obwohl die Badesaison selbst schon am 1. Mai begann.
Der Juli und August war in zwei Hälften unterteilt: vor dem obligatorischen Jugoslawienurlaub und danach. Und die beste Phase war eindeutig davor im Freibad!
Wobei Freibad nannten wir es nicht, wir nannten es Das Saubad! Unbedingt Das Saubad!!!
Das war der Name den wir von unsren Eltern und Großeltern erfuhren. Der offizielle Name war wohl Volksbad, aber der kümmerte uns nicht. Was war uns schon das Volk an sich wenn es einfach und ergreifend lediglich uns gehörte.
Mein Großvater erklärte mir, dass das Saubad deshalb so hieß, weil in vergangener Zeit das Areal Teil des städtischen Schlachthofs war und weil es der Legende nach (zumindest sehe ich es heute als Teil einer Legende) der Platz war wo die armen Schweine vor ihrem Tod gesäubert wurden. Als Junge dachte ich eher daran, dass es ein Bad für Schweine war und ich dachte nicht eine Sekunde an das Sterben oder an die Furcht der armen Geschöpfe die da in ihrem Bad waren um gesäubert in den Tod zu gehen.
Ins Saubad also!
Tritt in die Pedale, stoppe so wenig wie möglich.
Die Spielkarten die wir uns auf unsere Fahrräder montiert hatten machten ein knatterndes Geräusch und wir dachten, dass wir wie die berüchtigten Motorradbanden mit schweren Maschinen um die Häuser fuhren.
Wir hatten nichts an unseren mageren Körpern als kurze Hemden (ein T-Shirt gab es noch nicht) und kurze Hosen (keine Shorts), an den Füßen Sandalen und sicher keine Flip-Flops.
Nur eine Ampel die uns von der Bräunlichgasse zum Saubad trennte, die war beim Coop und führte uns direkt über die Bundesstraße ins verheißene Land. Dort angekommen sperrten wir unsere Räder mit einem dünnen Zahlkombinationsschloss an irgendeinen Baum oder wenn man Glück hatte an einen offiziellen Fahrradständer. Danach grub man in den Hosentaschen nach ein paar Schilling die man der Dame an der Kassa für den Eintritt gab, dafür erhielt man Ticket, dass einen zum Eintritt berechtigte. Und was sich für ein Panorama direkt nach der Kassa präsentierte!
Man sah direkt das große Becken welches majestätisch in der Mitte der Anlage lag und danach kamen etwas dahinter die alten Holzkabinen, die an Stammgäste vermietet wurden, der reinste Luxus waren diese Stammkabinen. Ich kannte Familien die eine solche Stammkabine hatten und das war das Äquivalent der herrschenden Klasse, reines Königsblut und jenseits des Möglichen.
In den alten Holzkabinen wurden die Liegestühle für die Mütter und die Campingsessel für die Väter gelagert, samt Spielzeug für die Prinzen und Prinzessinnen.
Links vom Eingang gab es auch Kabinen, die jedoch wirkten nicht so herrlich und majestätisch, um ehrlich zu sein wirkten diese obwohl nicht wirklich schlechter dennoch etwas einfacher.
Für uns gab es nur eine Lösung, entweder man hatte bereits seine Badehose an oder man musste in den öffentlichen Umkleideraum. In diesem hieß es schnell die Hose runter und rasch in die Badehose hinein, hatte man das geschafft dann lockte der Geruch nach Tiroler Nussöl oder schlimmeren, dem einmaligen Geruch der gechlorten Becken und der des Kiosk mit seinen Mannerschnitten, Gummizeugs, dass einem kriminell den Magen verklebte und den nächsten Besuch beim verhassten Zahnarzt prophezeite und Eskimoeis.
Nur wenig Schritte vom Eingang und dem Umkleideraum sah man bereits das hellblau gestrichene Becken, das so verlockend vor einem lag. Dieses war in zwei Bereiche unterteilt, zuerst in einem rechterhand halbtiefen Becken, dass lediglich mittels einer Rehling vom Schwimmerbereich getrennt war. Dahinter befanden sich die bereits erwähnten Holzkabinen. Vor diesen Kabinen waren hölzerne Liegen, hier jedoch hatten wir Bengel keinerlei Anspruch, diese waren nach einer für uns unerklärlichen Hierarchie nur den Erwachsenen vorbehalten. Also blieb uns die Liegewiese die sich etwas abseits vom Becken befand aber mehr wollten wir auch nicht. Man schmiss sein Handtuch und mehr war es wirklich nicht, wir hatten keine Badetücher, einfach auf das Gras und wir vergaßen ganz bewusst auf unseren Sonnenschutz. Damals war ein Sonnenbrand nicht mehr als der Ritterschlag der Kinder der arbeitenden Menschen. Man war mit rotverbrannten Stellen markiert und man musste mit schmerzhaften Schlägen darauf rechnen aber wer dachte damals an Krebs? Die Erwachsenen rochen nach öligem Sonnenschutz wobei Schutz möglicherweise gelogen ist. Ich rieche noch heute das Nussöl aus der roten Flasche oder sogar den leicht ranzigen Geruch von Olivenöl auf der Haut von schwarz-verbrannten dickbauchigen Damen und Herren in knappen Badesachen. Die hart arbeitenden Menschen des Volksbads, dass nach dem letzen Säuberungsprozess vor dem Schlachtvorgang im Volksmunde benannt war und möglicherweise auch unbewusst passend genannt wurde waren stolz auf ihre Haut die so aussah wie ein Grillhuhn knapp vor dem Verbrennen. Wir spindeldürren Kinder liefen wie wilde Hunde durch das Areal und kamen erst aus dem Wasser wenn unsere Lippen sich ungesund blau färbten und das auch nur wenn wir mit unseren Müttern im Bad waren. Unsere Väter mussten arbeiten, doch kamen sie nach getanerer Arbeit in das Saubad nach und es wurde die Kühltasche geöffnet und Pappteller mit Knackwürsten und Essiggurken samt Senf und Brot beladen. Das Bier kam kalt aus dem Kiosk und ich nenne ihn immer noch Kiosk weil ich einfach nicht mehr weiß wie wir in nannten.
Wir, die wir aber tagsüber in den Schulferien das Glück hatten ohne jegliche elterliche Aufsicht wie wilde Tiere auf einem begrenzten Areal umherzogen hatten unsere eigenen Regeln. Wir waren frei, so frei wie es der Mensch nur sein kann wenn er ein Kind ist. Wir waren die Pest auf dünnen Beinen, zumindest für den Bademeister, nur nannten wir ihn nicht so. Für uns war er der Badewaschl. Grundsätzlich eine Respektsperson aber genau deshalb musste man sämtliche Befehle von ihm missachten. Ein Ordnungshüter in kurzen weißen Hosen samt kurzärmeligem Hemd und soweit ich mich erinnere hatte er sogar irgendein offiziell wirkendes Wappen am Hemd. Seine Trillerpfeife nutze er erbarmungslos wenn es um den Einhalt der Baderegeln ging.
Kein Springen vom Beckenrand!
Kein Laufen am Rand des Beckens!
Wer kümmerte sich nicht darum?
Die wilden Kinder des Sommers kümmerten sich nicht darum!
Und ich sehe mich und ich erinnere mich.
Und ich erinnere mich an:
Die Mutprobe die besagte, dass man vom seichten Abschnitt unter den Trennstäben durch tauchen musste um in das tiefe Becken zu gelangen.
Die Mutprobe die besagte, dass man unter den Metallstufen die in das tiefe Becken führte durch tauchen musste.
Das warme Babybecken, dass nur vermeintlich durch Babypisse warm gehalten wurde.
An Fußballspiele die im entlegenen Winkel des Areals stattfanden, direkt bei den Kastanienbäumen.
An den Schmerz der erbarmungslos eintrat wenn man bei diesem Spiel auf eine stachelige Kastanienhülle stieg.
An einen weiteren, brennenden Schmerz im Fuß weil der Lederball zu prall aufgepumpt war.
An eine gewaltige Kindermenge die sich kollektiv um das schmale Fenster des Kiosk wand, nur damit man seine letzten Schillinge für Eis oder sonstige Süßigkeiten ausgab.
Dass ich zu oft zu klein war und deshalb mich hartnäckig gegen die großen Kinder behaupten musste um mir ein Brickerl oder einen Twinni zu kaufen.
Dass wir 5 Schillinge in den Wuzler werfen mussten um zu spielen.
Dass wir aber kleinkriminelle Energie entwickelten und die Zugstange für die Ballausgabe mittels eines Eiscremestangerls blockierten damit wir unbegrenzt spielen konnten.
An Schreiduelle am Wuzler weil „Drehen“ nicht erlaubt war.
An die großen Jungs die einem vom Wuzler vertreiben weil man zu klein war – das Gesetz des Dschungels.
An den tobenden Badewaschl der einem während eines warmen Sommergewitters aus dem Schwimmbecken stamperte.
Dass wir uns niemals unter keinen Umständen die nasse Badehosen auszogen damit wir eine trockene anziehen konnten – wir lagen uns auf den warmen Betonboden und trockneten unsere erkalteten Körper auf eben diesen Boden.
Die Sonne war unser Freund und diese Stunden waren die freiesten, wildesten Stunden die es gab. Denn es gab auch immer größere Jungen die einem das Leben schwer machen konnten. Wie viele Liter Wasser mussten die kleineren Kinder gewaltsam schlucken nur weil es eben stärkere und größere Kinder im Freibad gab? Man prügelte sich und ging sich danach aus dem Weg. Wenn man Pech hatte gab es Hiebe oder sogar einen kaputten Fahrradreifen.
Und trotzdem war es die aufregendste Zeit des Sommers.
In den Jahren die da kommen sollten kam es, dass wir als Teenager das Saubad mieden und dafür das Akademiebad für uns entdeckten. Obwohl meine Großeltern im Ungarbad eine Dauerkabine besaßen war es das Akademiebad in dem die jugendlichen Hormone verrücktspielten. Vermutlich lag es daran, dass unsere Schule im Akademiebereich war oder lag es eher daran, dass die Mädchen lieber dort waren? Ich erinnere mich daran, dass man sie plötzlich anders wahrnahm, so wie sie in ihren zweiteiligen Badesachen plötzlich vor einem standen. Noch gar nicht so lange vorher hatten sie noch Einteiler an und nun…aber das ist eine andere Geschichte.