Metamorphosen (Kafka Remixed / Juli 2015)

Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.

 

Was?

Kafka, was soll das?

Wieso ist Samsa ein ungeheures Ungeziefer?

Was für ein Ungeziefer soll das sein, Kafka?

Ich soll warten, dann erklären sie das, na gut, Kafka…ich warte.

 

Er lag auf seinem panzerartig harten Rücken und sah, wenn er den Kopf ein wenig hob, seinen gewölbten, braunen, von bogenförmigen Versteifungen geteilten Bauch, auf dessen Höhe sich die Bettdecke, zum gänzlichen Niedergleiten bereit, kaum noch erhalten konnte. Seine vielen, im Vergleich zu seinem sonstigen Umfang kläglich dünnen Beine flimmerten ihm hilflos vor den Augen.

 

Jetzt sagen sie bloß, Kafka, dass Samsa ein Käfer ist!

Ist Samsa ein Käfer?

Widerlich, ich mag keine Käfer, man könnte gut und recht behaupten, Kafka, dass ich Käfer hasse.

Und sie kennen mich Kafka, ich bin kein Mensch der leichtfertig über solche Dinge wie Hass spricht, selbst wenn meine Abneigung durchaus berechtigt und nachvollziehbar ist. Aber ein Käfer? Muss das sein Kafka?

Sie werden verstehen Kafka, dass wenn ich einen großen, denn das wird er wohl sein, der Käfer, oder Kafka? Also wenn ich einen großen Käfer widerlich finde, so werden das  andere Menschen auch so sehen! Nun stellt sich dann die Frage Kafka und diese Frage ist von Belang! Wer soll ihr Werk dann kaufen? Letztendlich Kafka, ist der Verkauf das Ziel, nur so werden sie in der Lage sein  weitere Werke zu vollbringen.

Nun also Kafka, ich bin ihnen durchaus zugeneigt, wie sie wissen aber ein Käfer? Kafka, ein Käfer?

Solch ein Käfer ist schmutzig und ekelhaft. Wer will schmutziges und ekelhaftes lesen? Ich kenne niemanden der das will. Gut, es gab mal dieses oder jenes Buch oder diese oder jene Geschichte aber das ist die Ausnahme, wir hier wollen schöne Bücher die mit schönen Geschichten glänzen verkaufen

Somit stellt sich die Frage Kafka, schaffen sie das? Jetzt geben sie mir mal einen raschen Überblick wie es weitergehen soll!

 

Kafka!

Kommt gar nicht in Frage!!!

Nein und nochmals nein!

Wir sind hier ein seriöses Unternehmen und solch eine bizarre, ja bizarre Geschichte brauchen sie mir erst gar nicht anbieten.

Was soll das Kafka?

Der Vater ist im Recht, ich würde ebenso handeln, wenn mein Sohn (gottbewahre) zu einem Käfer würde, dann müsste ich wohl eingestehen, dass ein Apfel noch das harmloseste wäre das ich zu werfen gedenke.

Wir haben hier Werte, Kafka, unsere Kunden verlangen nach Werten, die unser seriöses Haus bietet, somit ist das hier keine Diskussion mehr, haben sie das verstanden Kafka?

Ich muss ihnen wohl unter die Arme greifen und sie auf den rechten Weg führen, also Kafka, wir beginnen von vorne.

 

 

 

 

 

 

 

Als Gregor Samsa eines Morgens aus ruhigen Träumen erwachte, fand er sich ausgeruht in seinem Bett. Er lag auf seinem Rücken und sah, wenn er den Kopf ein wenig hob, nichts was ihn erschrecken würde.

 

Schön, so geht das…nur Mut Kafka, nur Mut.

Gregor Samsa wird nach seinem erwachen wie gewohnt seinen Anzug anziehen, die Familie begrüßen und danach erfrischt wie immer seiner Arbeit nachgehen. Als großen Handlungsstrang bauen wir seine Verlobung ein, alle sind zufrieden.

Sie haben ja jetzt, dank meiner großherzigen Unterstützung eine neue Richtung und wissen was zu tun ist. Wir sprechen dann in ein paar Tagen über unsere neue Fassung, sie verstehen, Kafka, dass ich ihnen dann aber ein paar Tantiemen weniger bezahlen muss, da mindestens die Hälfte mir zusteht.

Nun raus mit ihnen Kafka.

 

 

Ah, Kafka, da sind sie ja!

Ihre neue Fassung hat mir persönlich gut gefallen, aber ich muss sagen, dass manche meiner geschätzten Kollegen durchaus bereit sind…nun…wie soll ich sagen…der Markt, wissen sie Kafka, der Markt, er wünscht sich Sensationen! Und wer sind wir, dass wir nicht auf den Wunsch unserer hochgeschätzten Kundschaft eingehen sollten?

Ich muss auch sagen, Kafka, ihre neue Fassung war wohl wirklich zu harmlos, da passierte einfach nichts. Aber sie haben in mir einen Freund, Kafka, ich trage ihnen nichts nach, ich sage mal: sprechen wir nicht mehr darüber.

Also Kafka, wo waren wir?

Ach ja! Der Markt!

Nun, sie werden möglicherweise schon bemerkt haben, dass sich manche Bücher besser verkaufen als andere. Ihre Bücher, Kafka, ihre Bücher sind…nun, ich sage es geradeheraus: kein Renner! Aber ich mag sie Kafka. Sie sind eine Person die mir sympathisch ist.  Ihr Brotberuf ist ehrbar, vergessen sie das nie Kafka!

So, nun zum Thema zurück.

Der Markt also, dieses zarte Geschöpf verlangt nach aufregendem. Und wir, Kafka, wir müssen gehorchen. Ihre erste Fassung, nun anscheinend hat man diese bei uns intern von hochspezialisiertem Fachpersonal lesen und prüfen lassen, ihre erste Fassung fand durchaus Zuspruch, warum man das so sieht bleibt mit verschlossen aber man kam auf die Idee, dass die Geschichte an sich potential hat. Die Leser könnten daran Gefallen finden, ich persönlich, Kafka sie wissen das, ich persönlich finde den Gedanken an einen Käfer nach wie vor absurd, aber Kafka, es muss ja kein Käfer sein, nicht wahr?

Unsere Spezialisten sind der Meinung, dass der Beginn, wenn Samsa verwandelt erwacht durchaus Erwartungen weckt und manche Leser mögen unvorhersehbare Anfänge in Geschichten. Jetzt hat man, durchaus auf mein Anraten geprüft ob es denn nun wirklich ein Käfer sein muss und ich habe hier eine Liste mit Alternativen für sie, bitte lesen sie.

 

Was soll das heißen, mache Alternativen finden sie absurd?

Was bilden sie sich ein, Kafka?

Was ist falsch an einem Hasen?

Was ist falsch an einem Hund oder an einer Katze?

Das sind alles höchst bekannte und beliebte Tiere!

Der Hund, des Menschen treuester und bester Freund, nie würde der Vater in der Geschichte einen Apfel nach seinem besten Freund werfen, nie, Kafka! Der Vater würde den besten und saftigsten Suppenknochen nach dem Hund werfen aber in bester und freundlichster Absicht. Das habe ich auch unserer Marketingabteilung so gesagt, aber die stellten sich stur, stellen sie sich das vor Kafka. Diese Menschen beharren auf ihren verdammten Käfer! Widerliches Ding, dieser Käfer! Ein menschengroßer Käfer, Kafka, Kafka wo nehmen sie bloß diese abscheuliche Idee her? Sie müssen krank sein, Kafka, jawohl ich behaupte sie sind krank. Sie mit ihrer fixen Idee des Käfers, mit seinen kläglich dünnen Beinen, ekelhaft, Kafka, einfach nur ekelhaft, mir wird übel wenn ich daran denke. Raus hier sie kranker Mensch, raus aus meinem Büro.

Bringen sie mir ein neues Manuskript mit einem Hasen, ich will den Hasen, Kafka, hören sie?!

 

Kafka, danke für ihr kommen!

Entschuldigen sie meine etwas, nun rüde Art als sie letztes Mal zu Besuch waren. Aber sie verstehen mich doch, Kafka, sie verstehen, dass ich manchmal ihre spezielle Art und Weise, sozusagen ihre Verbohrtheit mit Nachdruck verbesser muss, nun….reden wir nicht mehr darüber.

So, Kafka, es geht um folgendes:

Unsere Marketingabteilung ist der Meinung, dass ihre Neuerung, namentlich der Hase nicht besonders geglückt ist. Grundsätzlich findet man die Idee nicht prinzipiell schlecht, wenn es um ein Kinderbuch ginge, dann wäre der Hase perfekt, man denke nur an die kommerzielle Auswertung: Plüschhasen, die Filmrechte samt der kompletten Verwertung…aber der Markt, Kafka, der Markt will Sensationen und die werden wir liefern, Kafka, koste es was es wolle.

Was will also der Markt, Kafka?

Monsterfilme!

Ja, Kafka, ein Film mit Monstern!

Sehen sie mich nicht so fassungslos an.

Literatur muss flexibel sein und ihre Geschichte wird von ihnen in null Komma nichts in ein Drehbuch verwandelt.

Wir haben herausgefunden, dass der Markt in Japan ein reges Interesse an einem Film mit einem gewaltigen Käfer hat.

Also Kafka, Samsa erwacht eines Morgens als gewaltiger Käfer!

Nein, ihr Käfer war nicht gewaltig oder? Ihr Käfer hatte in etwa die Größe eines Erwachsenen. Die Japaner, ein etwas perverses Volk (schnuppern an getragenen Unterhosen) aber sie zahlen gut, die Japaner wollen doch tatsächlich einen Käfer der über 100 Meter misst, das kriegen sie doch hin, Kafka. Und dieser Käfer trifft auf ein anderes gewaltiges Monster, das in Japan durchaus beliebt ist und bekämpfen sich gegenseitig. Ihr Käfer, Kafka verliert natürlich, da die japanische Bestie anscheinend wie ein Drache einen Feueratem hat oder so ähnliches. Mir schaudert wenn ich daran denke, ihr ekelhafter Käfer in gewaltiger Dimension und ein japanischer Drache, mir graut Kafka, aber was kann man gegen den Markt schon tun frage ich sie? Der Markt, Kafka hat immer recht.

Nun frisch ans Werk!

 

Aufblende:

Gregor Samsa erwacht als gewaltiger Käfer in Tokio.

 

Gute Nachrichten Kafka!

Nein, nicht wegen der Japaner und diesem Film, ihr Drehbuch wurde verworfen, zu abstrakt meinten die Produzenten, zu viele ungelöste Konflikte innerhalb der Familie Samsa wegen Gregor. Dieser Feuerdrache kämpft nun gegen einen ebenso großen Roboterdrachen, das wäre die bessere Lösung.

Man liebt anscheinend ihren widerlichen Käfer aber den Rest der Familie Samsa findet das Testpublikum zu anstrengend. Der Vater wurde von den Japanern als ein etwas zu rücksichtsvoller Charakter gesehen, einzig als er mittels Gewalt gegen den Käfer einwirkt gab es ein positives Feedback. Wie gesagt, das Thema ist durch, der Roboterdrache hat gewonnen, der Film kommt in drei Monaten ins Kino.

Aber, wir nehmen uns dem Projekt Verwandlung neu an.

Samsa und seine Familie als TV-Serie, das ist neu und spektakulär.

Gregor erwacht als Käfer, ja Kafka, ein Käfer, was dachten sie denn?

Wir haben da einen TV-Sender an der Hand der unbedingt einen neuen sensationellen TV-Mehrteiler benötigt, sie wissen ja, Kafka, der Markt.

Ein Casting läuft gerade, der Vater soll von Sean Bean gespielt werden, der läuft gerade mit kurz geschorenem Kopf und Schnauzbart herum und blickt sehr herrisch in die Gegend. Gregor soll von Andy Serkis mittels Motioncapture dargestellt werden, alles sehr aufregend Kafka, sehr aufregend, aber von solchen Dingen haben sie wohl keine Ahnung. Aber sie haben den Start mit ihrem ekelhaften Käfer geliefert, deshalb will der Sender sie als konsultierenden Mitarbeiter für das Drehbuchteam haben, ich habe sofort zugesagt! Die wollen wohl ihre Meinung zum Thema Käferbeine und Ausstattung und Äpfel haben. Der Apfel, nicht wahr Kafka, der Apfel muss ja ein erhabenes Exemplar sein, schließlich ist der doch wichtig, genauso wie der Stock und die Zeitung!

Sie haben morgen Mittag ein Meeting mit Jane und Dylan vom Sender, leider kann ich sie nicht begleiten, ich selbst habe andere Termine, aber anscheinend wäre ich bei diesem Meeting auch nicht von Nöten gewesen, man sagte mir es ginge um die Kreativen, was immer das bedeuten soll.

Kafka, freuen sie sich! Zeigen sie diesen Kreativen was für ein Kerl sie sind Kafka. Wenn sie da einen guten Eindruck hinterlassen, dann ist das unsere Chance Kafka, wir haben dann einen Fuß in der Fernsehwelt.

Nur Mut, Kafka, nur Mut und danken sie mir nicht Kafka, meine Rechnung kommt noch.

 

Aufblende:

Gregor Samsa erwacht eines Morgens aus unruhigen Träumen im Bett.

Er fand sich zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt.

 

Ein Erfolg, Kafka, ein Erfolg.

Die Senderchefs sind sehr zufrieden mit der Einschaltquote.

Was jammern sie da rum?

Ja, natürlich hatten die das Recht gewisse Dinge zu ändern. Wo bleibt denn ihre Geschichte fragen sie? Wo ist der Konflikt? Na der ist doch klar ersichtlich, Kafka!

Sean Bean greift zum Revolver und feuert auf diesen widerlichen Käfer, der Mann ist ein Talent, nicht wahr, Kafka?

Hally Berry als Mutter fanden sie nicht korrekt besetzt? Spinnen sie Kafka?

Die Frau hat einen Oscar bei sich zu Hause am Kamin, was wissen sie schon Kafka?

Eine zweite Staffel ist bereit bestellt, die Zuseher lieben die Serie.

Wie, was soll das Kafka?

Was heißt hier wie soll das gehen, da Gregor verstorben ist?

Da sieht man wieder, dass sie keine Ahnung haben, Kafka.

Das ist Fernsehunterhaltung, denen vom Sender fällt bestimmt etwas ein.

Im Notfall wird das eine Anthologie und keine direkte Fortsetzung, eventuell ein Prequel, damit der Zuseher endlich versteht warum Gregor zum Käfer wurde.

Das muss ich gleich James vom Sender sagen, wir sind fertig, Kafka, raus aus meinem Büro.

Nicht vergessen, Kafka: die einzige Konstante im Leben ist die Verwandlung.