Eine kurze, belanglose Geschichte über ein kurzes Gespräch im Stiegenhaus.

Marvin Gaye ist nicht tot!

Er starb nicht am 1. April 1984, nein auf gar keinen Fall. Er plante seinen angeblichen Tod bis ins kleinste Detail (mit etlicher Unterstützung einer kleinen, angesehener Agentur die auf solche Fälle spezialisiert ist), und nun lebt er eine Türe von meiner Wohnung entfernt.

Marv (ich darf ihn so nennen) und ich sind Kumpels. Manchmal hocken wir gemeinsam vor der Glotze und stopfen uns mit Knabberzeug voll. Manchmal sitzen wir einfach nur so rum und quatschen uns die Ohren voll. So wie gestern.

Ich saß im Stiegenhaus, einfach so, ohne besonderen Grund. Ich saß da und beobachtete die Straße. Ich hörte wie jemand aus dem Lift stieg – Marvin!

„Hey, was ist los?“

„Uh, hm, nix besonderes. Ich hock‘ hier nur so rum Marv.“

„Und wieso hockst du dann nicht bei dir in deiner Wohnung rum, hä?“

„Ach, einfach keine Lust, einfach keine Lust.“

Marv sah etwas angeschlagen aus, ich kenne ihn, irgendetwas stimmte nicht.

„Und was ist bei dir so los, Marv?“

Er begann zu summen. Eine Melodie die ich kannte. Es war…

„Everybody needs love?!“

„Nein, knapp vorbei. Probier’s nochmal.“

„Ha, ich hab’s…When did you stop loving me, when did I stop loving you!“

Er grinste mich an. Seine Augen wirkten traurig und doch auch etwas fröhlich.

„Was ist passiert? Irgendetwas mit Susie?“

Susie war Marvins Freundin. Sie war es schon seit Marvin hier neben mir eingezogen ist. Das war mittlerweile zwei Jahre her. Er erzählte mir einmal, dass er sie beim einkaufen kennenlernte. Sie schleppte ihren Einkauf in einem Karton Richtung Parkplatz. Dem Gewicht der Lebensmittel war der Karton nicht gewachsen und – ratsch – gab er seinen Inhalt dem Boden preis, genau vor Marvins Füße.

Er sagte: „Ich sah sie an und war verliebt.“

„Du weißt schon wenn dein Adrenalinspiegel steigt und deine Hände schwitzen und wenn du keine Luft kriegst, diese Art von verliebt sein.“ Hatte er mal erklärt.

Susie ging’s genauso. Zwei Tage später waren sie ein Paar. Jeder von ihnen behielt seinen Freiraum und dennoch waren die beiden inniger verbunden als so manch andere und jetzt soll alles aus sein?

„Was ist passiert Marv?“

„Uhm, na ja, die Sache ist ganz einfach, der liebe Gott hat uns eine wunderbare Zeit geschenkt und jetzt ist sie halt vorbei, einfach so. In letzter Zeit haben wir uns wohl etwas auseinander gelebt. Außerdem soll man gehen wenn’s am schönsten ist. Du solltest das doch wissen.“

„Ja, ja…sollte ich??!“

„Du siehst auch nicht gerade so aus als ob du einfach nur so hier sitzt, mein Freund.“

„Na ja, ich denke nach.  Wo ich bin, wohin ich gehe, was wird morgen sein…so ein Zeugs eben! Marv, glaubst du an Bestimmung?“

„Gute Frage. Ich weiß nicht. In gewisser Weise schon, warum?“

„Na ja, ich meine, jeden Tag begegnest du Menschen und eines Tages läufst du jemand ganz besonderen über den Weg. So wie du und Susie! Und wenn es sein soll verliebt man sich ineinander und wenn nicht, dann eben nicht. So wie ich immer sage: Dinge passieren oder passieren eben nicht! Niemand kann’s ändern, niemand hat Schuld.“

„Und trotzdem würdest du gerne jemandem die Schuld in die Schuhe schieben.“ Marv verstand mich!

Wir saßen noch eine Weile schweigend nebeneinander. Wir verhielten uns mucksmäuschenstill bis wir nur noch die Geräusche die aus den Wohnungen kamen hörten.

In Wohnung 104 wurde mit dem Geschirr geklappert, eine Wohnung daneben schleuderte eine Waschmaschine die Wäsche und einen Stock unter uns bumste gerade ein Liebespaar.

„You are shit out of luck when you are shit out of fuck!“ sagte ich.

Ich sah Marvin an und wir beide lachten wie irre darauf los, ich pisste mir fast in die Hose. Marvin lachte so lange bis ihm die Tränen die Wangen herunterliefen. Ich kapierte erst nach einigen Minuten, dass er nicht mehr vor Lachen weinte.

„Marv?“

„Es ist schon in Ordnung, ich dachte nur einen Moment an Susie.“

„Und es ist endgültig vorbei?“

„Es sieht wohl so aus. Ich habe ihr sogar I want you vorgesungen, nein, es ist vorbei.“

„Scheiße, Marv!“

Er wischte sich die Tränen vom Gesicht. Ich sah ihn an, er tat mir leid.

Er stand auf, holte seinen Wohnungsschlüssel heraus und verabschiedete sich.

Ich blieb noch eine Weile sitzen und hörte den Alltagsgeräuschen zu. Die Waschmaschine rumpelte nicht mehr und auch das Liebespaar dürfte glücklich ineinander verschlungen eingeschlafen sein. Als ich aufstand um in meine Wohnung zu gehen hörte ich die Four Tops im Radio.

…you to me are everything, the sweetest song that I could sing, oh baby but for you I guess I’m just a clown who picks you up each time you’re down, oh baby…

Als ich in meiner Wohnung war kramte ich Marvins Platten hervor. Spätestens als ich ihm zuhörte wie er I want you ins Mikro hauchte wusste ich, dass Liebe nicht nur ein Wort ist.

 

Epilog

 

Etliche Stunden später klopfte Marvin an meine Tür. Er sagte, dass Susie ihn angerufen hatte und es gerne noch einmal mit ihm probieren wollte. Sie sagte als er gegangen war musste sie immer wieder an ihn denken wie er vor ihr Stand und I want you sang.

Marvin lächelte mich so an wie es nur verliebte tun.

Manchmal dachte ich, manchmal ist Gott doch ein Gerechter.