Margarete und Rudl in der Revolution
I.
„Gebt obacht, welche Teufel ihr in eure Stadt holt! Und denkt nach, wie ihr sie bei Bedarf wieder loswerdet!“. Der Redner der kommunistischen Partei Österreichs, Johann Koplenig, brüllte seine Worte in den vollgerammelten Eichensaal in Wien Favoriten. Die junge Architektin Margarete applaudierte heftig und stieß in ihrer revolutionären Erregung mit ihrem gutaussehenden Nachbarn zusammen. Der arbeitslose Maurer und Bautischler Rudl, aus dem Dunkelsteinerwald, war nicht minder begeistert, Zuerst von der Rede des Politikers und anschließend von seiner mit ihm kollidierenden Sitznachbarin. Der Rudl war jetzt seit drei Monaten in Wien, arbeitslos und der Hunger trieb ihn vom Männerwohnheim auf die Straßen und von dort in die verschiedenen Politversammlungen, wo er und viele Leidensgenossen hofften, verköstigt zu werden oder Arbeit zu finden. Die finalen Schreie des Parteiredners hatten ihn aus seinen Hungerträumen geweckt und so war er erschrocken mit Margarete zusammengestoßen.
Diese war die erste Frau, die in Österreich ein Architekturstudium abgeschlossen hatte. Sie stammte aus bürgerlichem Hause, auf ein Empfehlungsschreiben Gustav Klimts hin, erlaubte man ihr an der K. K. Kunstgewerbeschule, bei Josef Hoffmann, Anton Hanak und Oskar Kokoschka zu studieren. Bei ihrem Hauptlehrer Oskar Strnad, einem Pionier des sozialen Wohnbaus in Wien, lernte sie die innovative, funktionale und zukunftsweisende Sozialarchitektur kennen, für die das Wien des frühen 20. Jahrhunderts weltberühmt wurde. Auf dieser Basis erfand sie 1926 ihre geniale „Frankfurter Küche“, den Prototyp der modernen Einbauküche.
Der Rudl jedoch hatte seit Tagen nichts gegessen und wusste nicht, daß er eine Küchenfee in seinen muskulösen Armen hielt. Er entschuldigte sich bei ihr und sie lud ihn in den böhmichen Prater ein. Sie sah ihm gerührt zu, wie er sein drittes Fiakergulasch verschlang und fragte vorsichtig: „Ich suche noch einen Arbeiter der meinen Mann und mich nach Moskau begleitet. Wir sind eine Gruppe von Architekten und eingeladen am ersten Fünfjahresplan Stalins mitzuarbeiten. In Deutschland und Österreich werden in Kürze die Faschisten an die Macht kommen. Wenn wir die Internationale stärken, können wir die Revolution auch in unsere Länder tragen.“
Dem Rudl war im Augenblick die Revolution ziemlich wurscht. Er war gesättigt, rauchte seine Lieblingsmarke und konnte kein Auge von dieser faszinierenden Frau wenden. Er würde Margarete sogar in die Hölle folgen. Und so sollte es auch kommen!
II.
Ein heißer Frühsommertag neigte sich dem Ende zu. Die blutrote Sonne schickte sich an, hinter den Linden am Patriarchenteich zu versinken. Der Tag war so müde geworden, wie die Revolution in ihrem dreizehnten Jahr. Lenin war schon lange tot, Trotzki, Sinowjew und Kamenew besiegt und nun ging Stalin gegen die rechten Abweichler unter Bucharin und deren Sympathisanten mit höchster Brutalität vor. Sündenböcke wie: Abweichler, Juden und Ausländer waren hochwillkommen. Drei dieser Ausländer saßen auf einer Bank im Schatten der Linden. Rudl und Margarete kennen wir schon, bei ihnen saß, süsse Limonade von dem Büdchen trinkend, der deutsche Architekt und Stadtplaner, Ernst May. Mit seinem Team hatten sie in den letzten zwei Jahren neue Siedlungen in Moskau und die aus dem Boden gestampfte Industriestadt Magnitogorsk am Südural geschaffen. Wo sich früher Lehmhütten und Erdlöcher befanden, entstanden nun moderne Wohnungen für 20 Millionen Menschen. Doch das Neue verdrängte die Alte Welt unter brutalen Opfern. Die rasch wuchernde Bürokratie und Korruption warf die idealisierten Pläne der jungen Architekten und Planer in den Bauschutt. Sie waren aus der Stahlstadt geflohen und hingen desillusioniert ihren Träumen nach. Ein stattlicher Mann mit Pfeife, Barett und Monokel trat aus der Dämmerung auf sie zu. „Gestatten: Alexander Michailowitsch Rodtschenko, Fotograf und Maler, darf ich mich zu ihnen auf die Bank der Verlorenen gesellen, denn diesen Eindruck machen sie auf mich.“
Der Rudl wollte frech werden, doch Margarete legte beruhigend ihre Hand auf sein Knie. „Hat man sie auch....?“fragte sie den Neuankömmling. Alexander nickte traurig. Einst hochdekorierter Maler, Grafiker, Museumsleiter und Kunstlehrer war auch er vor kurzem in Ungnade gefallen und fristete nun als Fotograf für diverse Magazine sein Leben. Auf der Suche nach Motiven waren ihm unsere Freunde aufgefallen und er hatte ihre Körpersprache richtig gedeutet.
............
III.
Der Teufel stöhnte laut auf: „Ja fader kann es aber jetzt nimmer werden. Gibt es da keinen Schriftsteller der die Geschichte dramatischer gestalten kann?“. Er war frustriert. Gott und er saßen auf einer kleinen Anhöhe nahe dem Moskauer Teich und betrachteten gelangweilt unsere Freunde. Nebenbei würfelten sie und Gott hatte ihm den dritten Sechserpasch in Folge vor die Glutäuglein geknallt.
„Nun, gut Alter“, vernahm er den dröhnenden Baß seines Gegenspielers, „ gewinnst du kommt die Miliz, habe ich nach drei Runden die höhere Augenzahl kommt der Schriftsteller.“
Beelzebub höhnte: „Gott würfelt nicht, aber er bestimmt die Regeln.“
Sie würfelten jeder zweimal und obwohl beide schummelten wie zwei alte Casinogroupiers im Seeräubernest Monaco, stand es unentschieden. Der Teufel lächelte hinterhältig wie ein Offshorebanker: „Last order please Mr. Gott!“. Der war gelassen wie immer, sie wissen Weihrauch und so, aber auch ein wenig unaufmerksam und so entglitten ihm leicht die Würfel beim letzten Wurf und der Teufel hatte leichtes Spiel......
Die Miliz stürmte den schon fast dunklen Park und unsere Freunde stoben in alle Richtungen auseinander. Der Rudl, der am meisten Limonade getrunken hatte war zu langsam, ein Hieb eines nachrevolutionären Knüppels schickte ihn ins Land der Träume:
.....Margarete schwebte hoch über ihm hinweg aus dem Park. Ein blasses schönes Kind, von ferne winkt sie ihm noch, die liebende Hand, der süsse Leib den er einst genoss, entwand sich ihm für immer, ein grünes Glühen blieb zurück. Welch eine Wonne! Welch ein Leiden!
.......
Der Georgier Iosseb Bessarionis dse Dschughashwili der sich jetzt der „Stählerne“ nannte, betrat wie immer schlechtest gelaunt das Kremltheater. Er hatte befohlen, das Stück seines Lieblingsdramatikers Michail Bulgakow „Das Leben des Herrn Moliere“ aufzuführen. Das hinderte ihn nicht daran seinem Autor ein doppeltes Berufsverbot als Arzt und Schriftsteller zu geben. Das war die Schizophrenie der Mächtigen. So wie sich der Schickelgruber die Filme Charlie Chaplins ansah, so blickte auch der sowjetische Despot gerne in den Spiegel. Schließlich musste man sich ja erholen von den vielen Säuberungen, Schau- und Geheimprozessen.
Das Zeitalter der Extreme näherte sich seinem unseligen Höhepunkt.
„Sosso“ dachte zurück an die Zeit als er seiner Mutter beim Wäschewaschen und Putzen geholfen hatte. Die brutalen Prügel durch seinen Vater waren unvergessen, doch er las sich aus seinem Elend. Die Bücher waren das Sprungbrett für die erfolgreiche Flucht. Der pockennarbige Stavros Papadopoulos wurde 1912 in Wien revolutionär zurechtgeschliffen. Er war gerüstet und bereit zusammen mit dem Schickelgruber die Welt in den Abgrund zu stossen. Mephistopeheles dankte für die erbauliche Zusammenarbeit.
Gott räumte achselzuckend das Würfelspiel weg.
IV.
Der Lastwagen hielt mit quietschenden Reifen vor der Anstalt. Rudl und seine Häscher kugelten auf der Ladefläche durcheinander. Sie schleppten ihn in ein kahles Zimmer wo er an einem Sessel festgebunden wurde.
Aus einem benachbarten Raum hörte er jemand singen:
„Vintery mintery corn
Apple seed and applethorn
Wire briar limber lock
Three geese in a flock
One flew east
One flew west
And one flew over the cucoo´s nest.“
Die gastfreundliche Anstalt beherbergte also auch ausländische Gäste. Der Blick unseres Helden blieb auf einem am Boden liegenden Mützchen hängen. Auf der Stirnseite war ein großes „M“ eingestickt.
Zwei ganz in weiß gekleidete Männer und eine Frau betraten den Raum. Der ältere der beiden fragte Rudl: „Warum sind wir den hier?“.
Der Angesprochene seufzte: „Wir bauten eine Stadt, die Deutschland besiegen wird, dann hat der Teufel mit Gott gewürfelt und Margarete ist davongeflogen....“. Noch hatte er nicht ausgesprochen, hielt ihn der eine Mann fest und der andere rammte ihm eine Spritze in den Arm. Der Raum wurde freundlicher, die Glatze des Mannes leuchtete intensiv und in ihr erschien das Gesicht der Geliebten, ein schwarzes Auge lugte aus dem Schlüsselloch, Margarete ging nach London und Istanbul, gründete eine Widerstandsbewegung und wurde von den Nazis verhaftet......die roten Wolken zogen Richtung schwarzer Wald...ein Plappermaul verstummt...ihr naht euch wieder schwankende Gestalten....der Mann im weißen Gewand betritt die Galerie...und niemand bringt mehr wieder, die Bilder froher Tage.
ENDE