Allzeit Säue
1
Major Hump lag in seinem Erbrochenen und das am Sonntagvormittag mitten vor der „Burg“ genannten Theresianischen Militärakademie. Der Anblick stellte eine unglaubliche Schweinerei dar.
„Hol mir sofort diesen Sauvettel her“, brüllte Oberst Sabak mit hochrotem Kopf seinem Adjutanten Gerfried Hölles zu. Dies veranlasste wiederum bei der Frau Oberst Maria Sabak einen Ingrimm. Sie dachte, ihr Angetrauter habe von ihr gesprochen. Sie überlegte kurz, ihm ihre Handtasche über den Schädel zu ziehen, alleine der Umstand, das sie eine erst kürzlich erworbene Gucci trug, hinderte sie daran.
So zischte sie nur etwas von bereuen und später sehen und stolzierte hocherhobenen Hauptes alleine in die Sonntagsmesse.
Oberst Sabak glaubte einem Infarkt nahe zu sein, auch weil sein Adjutant der inzwischen neben dem Major kniete keine Anstalten machte, diesen zu wecken.
„Was kniest du da herum, weck ihn doch endlich auf“, schnauzte er Gerfried an.
„Das geht leider nicht Oberst“, antwortete dieser, „der Major Hump ist nämlich tot“.
Im Gegensatz zu Hump als echten Roten, was sich aber nur auf seine Vorliebe zu Rotwein bezog, war Oberst Sabak ein Blauer und zwar politisch gesehen.
Disziplinlosigkeit und überhaupt ein Leben in der Öffentlichkeit waren ihm ein Gräuel.
Daher litt er sehr darunter, nun vor allen Schaulustigen die Prozedur der zur Stelle gerufenen Kriminalpolizisten über sich ergehen zu lassen. Als ihm der Kriminalbeamte Lugger verkündete eine Autopsie durchführen zu lassen, platzte ihm buchstäblich der Kragen.
„Wie blind sind sie eigentlich, Major Hump war ein Säufer und ist hier an seiner eigenen Kotze erstickt, das sieht doch jeder.“
„Dann ist es nur eigenartig“, antwortete Lugger trocken, „dass er sich so nebenbei eine Kugel ins Herz gekotzt hat, dort hat er nämlich ein hübsches kleines Loch.“
Damit drehte er sich um und ließ den sprachlosen Oberst stehen.
Nach dem Ende der Amtshandlungen mussten noch eine Menge Telefonate und Besprechungen geführt werden und so wurde es Abend, bis Oberst Sabak endlich nach Hause kam.
Dort erwartete ihn aber nicht eine milde Gattin, die ihm nach diesem grauenvollen Tag einen schönen Abend bereitete. Nein, seine Frau Maria war auch nach noch so zahlreichen Erklärungsversuchen, mit Sauvettel nicht sie gemeint zu haben, fuchsteufelswild.
Das hätte sie sich nicht verdient, dass alle Leute auf dem Weg zur Sonntagsmesse glaubten, sie müsse sich von ihrem Mann so behandeln lassen. Das müsste erst wieder gut gemacht werden, am besten mit der Einschaltung eines erklärenden Artikels in den Wiener Neustädter Nachrichten, dass sich diese beleidigenden Worte nicht auf sie, sondern auf den armen Major bezogen hätten. Und wenn er sich zu gut dafür sei, bitte, dann könne er heute und in nächster Zeit auf der Couch schlafen, und er solle es ja nicht wagen sie anzurühren, auch wenn heute Sonntag sei und dieser Tag den ehelichen Pflichten, wie er das nenne, vorbehalten sei. Überhaupt sei es ohnedies eine Gefühllosigkeit, sich am Tag des Herrn wie die Vieher zu benehmen, aber schon ihr Vater, Gott habe ihn selig, habe sie vor der Unsensibilität ihres damals noch Verlobten gewarnt.
Mit diesen Worten ließ sie den verdutzten Oberst stehen und schloss mit einem lauten Knall die Türe zum Schlafzimmer. So blieb ihm also nichts anderes übrig, als im Gästezimmer die Couch zu beziehen, an Schlaf konnte er sowieso nicht denken.
2
Am Samstag hätte Major Hump zur Angelobung der neuen Soldaten wie immer eine Rede halten sollen. Durch seine laute Stimme war er dafür bestens geeignet, vorausgesetzt, diese fand am frühen Nachmittag statt, da er dann noch nüchtern war und wurde für ihn verfasst.
Statt sich aber wie üblich an dieses Szenario zu halten stürmte er diesmal mit hochrotem Kopf die Rednerbühne, riss das Mikrofon an sich und brüllte, schon sichtlich betrunken, etwas von nun sei es aber genug, er lasse sich das nicht länger gefallen von diesen Schweinen in Uniform, entweder er bekomme was ihm zustehe oder er werde auspacken und ähnlichen Schwachsinn. Gott sei Dank reagierten einige der anwesenden Militärs schnell und zerrten den nun schon sehr aufgebrachten Major vom Rednerpult weg. Gerade konnte dieser noch etwas von morgen werden alle die Wahrheit erfahren und allzeit Säue von sich geben, bevor er von vier kräftigen Männern in die Akademie gebracht wurde.
Ob er nun wirklich Säue meinte oder eigentlich „Allzeit Getreu“, den Wahlspruch Wiener Neustadts rufen wollte, sei dahin gestellt.
Der Bürgermeister und andere Gäste fühlten sich in ihrer Ehre gekränkt und verließen erbost die Veranstaltung, nicht ohne den Oberst mit Konsequenzen gedroht zu haben.
Dieser, ohnedies fassungslos und in der leisen Hoffnung zu träumen, musste sich nun auch noch mit verärgerten Zivilen und erheiterten Jungmännern herumschlagen.
Als er jedoch seinen Adjutanten zu Hilfe rufen wollte, warum war der Trottel nicht schon an seiner Seite, sah er ihn bleich und zusammengekrümmt in einem Sessel sitzen.
Der wird mir doch jetzt keine Dummheiten machen, dachte er sich, rüttelte an seiner Schulter und stellte ihn vor die Wahl, entweder sofort mit zu helfen und sich um die Auflösung der Veranstaltung zu sorgen oder er werde sich wünschen, niemals die militärische Laufbahn gewählt zu haben. Als Gerfried antwortete, das wünsche er sich ohnedies schon bald und außerdem bekomme er gleich einen Herzinfarkt reichte es dem Oberst.
„Disziplin“, schrie er den armen Hölles an, „Disziplin ist das einzige was ich mir von dir erwarte, herzkrank bin ich selber“
So musste dieser wohl oder übel aufstehen und sich wie immer um alles, was seinem Vorgesetzten widerstrebte, kümmern.
Im Laufe des Nachmittags konnte der Oberst dann bemerken, dass sich die Leidensmiene seines Adjutanten in die übliche Entschlossenheit verwandelt hatte.
Na also, dachte er sich, man muss diese jungen Burschen nur hart genug anpacken, schon sind sie wieder gesund. Der Major Hump, den er auch ganz gerne hart angepackt hätte, war aber leider den ganzen restlichen Tag nicht mehr aufzufinden, die Dummheiten hätte er aus ihm rausgebeutelt und ihm eine letzte Warnung mitgegeben. Sollte er ihn noch einmal besoffen im Dienst erwischen, würde er seine Pensionierung durchsetzen.
Der war jedoch nicht so blöd, sich dem Zorn des Obersts auszusetzen. Sobald ihn die vier Kollegen unter gutem Zureden und weniger gutem Zerren auf das Feldbett in seinem Büro gebracht hatten und wieder verschwunden waren, stand er auf, nahm eine alte zerschlissene Aktentasche vom Schreibtisch und suchte das Weite.
Er soff sich aber nicht wie üblich vom Hauptplatz an die Peripherie Wiener Neustadts vor. Nein, denn diesmal hatte er Bedenken, doch noch dem einen oder anderen Offizier zu begegnen, der ihn zur Rede stellen würde.
Darum begann er diesmal gleich am Ende und kam erst weit nach Mitternacht wieder im Zentrum an. Nachdem er im letzten Lokal auf seiner Station schon zweimal vom Barhocker gefallen war, schmiss ihn der sonst eher gutmütige Kellner endgültig hinaus. Er solle morgen wiederkommen wenn es ihm besser gehe, nichts für ungut, aber das sei ja kein Zustand mehr, wenn er nicht mehr sitzen könne, solle er sich ins Bett legen.
Also trat der Major den Heimweg an. Fest die Aktentasche unter den rechten Arm geklemmt und sich mit dem linken an den Hauswänden abstützend torkelte er zur Burg zurück.
Kurz vor dem Eingang forderte aber sein beleidigter Magen Tribut und er würgte die letzten beiden Liter Roten wieder hinaus. Kaum war er fertig und wollte weitergehen, hörte er eine ihm bekannte Stimme.
„Jetzt hab ich dich endlich du Lump, wennst den Starken spielen willst, musst es aber durchhalten auch.“
Das letzte was der Major dann noch sah war eine Hand, die nach seiner Aktentasche griff.
3
„Wie bereits vermutet, ist der Major nicht erstickt sondern erschossen worden. Sie als sein Vorgesetzter kennen ihn wahrscheinlich am besten, verheiratet war er ja nicht.“
So eröffnete Lugger das Gespräch, als er am Montagmorgen in Oberst Sabaks Büro eintraf.
Weiters teilte er mit, dass die Tatwaffe voraussichtlich eine P 80 sei, die natürlich nicht gefunden wurde, der Tatzeitpunkt ist nach dem Ergebnis der Autopsie zwischen drei und halbvier Uhr nachts gewesen. Wahrscheinlich sei auch, dass der Major schon von einigen Autofahrern und Passanten gesehen wurde, aber die glaubten sicher alle, dass ein besoffener Militär nicht ganz zurück in die Kaserne gefunden hätte, und das sei hier doch nichts Ungewöhnliches.
Diese Bemerkung verursachte beim Oberst, der ohnedies schon von der morgendlichen Zeitungslektüre aufgebracht war, den ersten Ausbruch des jungen Tages.
„Wenn sie glauben sich über das Militär lustig machen zu können, sind sie an den Falschen geraten. Solche wie der Major sind im Aussterben, im Gegensatz zu den Mitgliedern Ihrer Berufsgruppe.“
Lugger lächelte nur leicht und fuhr in seinen Mitteilungen fort. Schließlich forderte er nochmals genauere Informationen über das Privatleben und eventuelle Neider und Feinde des Majors ein.
Dazu konnte oder wollte der Oberst nichts sagen. Zwar kannte er den Major bereits seit vierzehn Jahren, aber außer dem nicht immer konfliktfreien beruflichen Verhältnis hatte er zu ihm keinerlei Kontakte. Dass es sich bei der Pistole aber um eine P 80 handelte, beunruhigte ihn, immerhin war das eine Waffe des Militärs. Also ließ er nach dem Ende der Unterredung nach seinem Adjutanten rufen, damit dieser eine Aufstellung der ausgegebenen Pistolen verfassen könnte. Er erfuhr aber lediglich von der Krankmeldung seines Untergebenen.
Im Büro Major Humps konnten die Kriminalisten auch nichts Interessantes entdecken, sie nahmen nur ein paar Computerdisketten zur Auswertung mit.
Leutnant Hölles saß inzwischen in seiner Wohnung und war alles andere als krank. Im Gegenteil war er sehr aktiv. Er hatte auf dem Küchentisch einige Unterlagen ausgebreitet, die er fieberhaft durchsah. Diese Unterlagen entstammten einer alten braunen Aktentasche, die leer am Boden lag. Und auf dem Tische reihten sich Listen und Fotos nebeneinander. Dem Leutnant stand der Schweiß im Gesicht, dass es nur so tropfte. Er verglich ein Papier mit dem anderen und fluchte von Zeit zu Zeit vor sich hin.
Dieser verdammte Major war ihm doch tatsächlich hinter seine Aktivitäten gekommen. Wie er es geschafft hatte, in Gerfrieds privaten Laptop einzudringen, blieb diesem ein Rätsel. Dass er dann aber auch noch Fotos von ihm geschossen hatte, war unglaublich. Das hätte er diesem Säufer nicht zugetraut. Dabei hatte er von Anfang an größte Sorgfalt gewahrt. Da er für die Verwaltung der Waffenbestände zuständig war, hatte er nach und nach ein lukratives Geschäft aufgezogen. Sicher, es war nicht um große Beträge gegangen, aber Waffennarren, die aufgrund ihrer Persönlichkeit oder Vergangenheit keinen gültigen Waffenschein mehr bekamen, gab es genug. so konnte er mit ein wenig Geschick und kleinen Manipulationen einen kleinen Handel betreiben.
Und dann hatte dieser Trottel von Major doch tatsächlich versucht, ihn zu erpressen. Mit seiner Ansprache am Samstag wollte ihn diese Sau doch wirklich unter Druck setzen. Die ganze Nacht hatte er nach ihm gesucht und als er schon aufgeben wollte doch noch Glück gehabt. Gott sei Dank hatte der Major in seiner unvergleichlichen Blödheit die Aktentasche mitgeschleppt. Hatte wahrscheinlich Angst, sie in seinem Büro zu lassen.
Als Leutnant Hölles schließlich den Eindruck gewonnen hatte, dass die Unterlagen vor ihm vollständig waren, packte er alles wieder ein, nahm einen Müllsack aus einer Lade und steckte diese vergammelte Mappe hinein. Nun musste er nur noch die Dunkelheit abwarten, bevor er das alles entsorgte. Morgen würde er in alter Frische und Energie wieder den Dienst antreten und keiner würde ahnen, dass er hinter dem Mord steckte.
4)
Einige Minuten nach zehn Uhr nachts fuhr ein Wagen die Neunkirchner Allee entlang. Von Wiener Neustadt kommend bog der Fahrer kurz vor dem Kreisverkehr einen kleinen Waldweg ein und blieb bald darauf mit ausgeschalteten Lichtern stehen. Dem Auto entstieg ein Mann, öffnete den Kofferraum und entnahm einen schwarzen Müllsack und einen Spaten. Nachdem er sich einige Meter entfernt hatte begann er zu graben. Da der Waldboden locker war, brauchte er nicht lange, bis er eine ausreichend tiefe Grube ausgehoben hatte. Darin legte er den Sack und eine Pistole hinein und füllte das Loch wieder auf. Sorgsam kümmerte er sich um die Gestaltung der Oberfläche, stieg schließlich wieder in den Wagen ein und fuhr, nachdem er sich vergewissert hatte, dass kein Fahrzeug nahte, wieder nach Wiener Neustadt zurück.
Am Dienstagmorgen meldete sich der Adjutant zu allererst bei seinem Vorgesetzten, entschuldigte sich für sein gestriges Fernbleiben, das er einem verdorbenen Magen zuschrieb und bat um die Zuweisung der heutigen Aufgaben.
„Leutnant“, sagte der Oberst seltsam verhalten, „ihre dringendste Aufgabe, die keinen Aufschub duldet, betrifft das Arbeitszimmer des Verstorbenen. Schauen sie nach, was sich dort alles angesammelt hat, trennen sie Privatbesitz von Heereseigentum und erstellen sie davon eine Inventarliste.“
Als Gerfried Hölles das Büro des Majors betrat glaubte er, seinen Augen nicht zu trauen.
Am ansonsten leer geräumten Schreibtisch lag der Müllsack, den er gestern Nacht vergraben hatte. Und davor saß dieser verdammte Kriminalpolizist. Der Adjutant machte, in der Absicht zu fliehen, einen Satz zurück, musste aber zu seinem Entsetzen feststellen, dass er dabei auf die breite Gestalt des Obersten stieß.
„Du hast wohl gedacht, ungeschoren davon zu kommen wie“, brüllte der, mit vor Wut schon fast blau angelaufenem Gesicht, „hast uns alle für Vollidioten gehalten. Und dieser versoffene Hump wollte auch einen kleinen Anteil von deinen miesen Geschäften kassieren, statt sofort Meldung bei mir zu machen.“
Dann erfuhr der Leutnant von der Polizei noch, dass der Major alles auf eine Diskette kopiert hatte und diese gestern von der Mordabteilung ausgewertet wurde. Bereits seit dem frühen Nachmittag sei er unter Beobachtung gestanden, alleine aus Rücksicht auf das verdiente Militär in dieser Stadt, dabei lächelte Lugger verhalten, wurde er nicht sofort verhaftet. Dass sein kleiner Waffenhandel hierorts unentdeckt blieb, zeuge ja von der Effizienz und Gutmütigkeit des Bundesheeres.
Und noch bevor der Oberst wieder Luft bekam und Gelegenheit hatte, diesem verdammten und überheblichen Polizisten eine aufs Maul zu geben, verließ der mit seinen Kollegen und dem in Handschellen gelegten Leutnant die Kaserne.
Der Text ist dem clubpoesie Krimi-Buch "tat.wort" entnommen.