Ladendiebe der Welt vereint euch

Die CD in der Hand, dein Puls fährt hoch, dein Herz pumpt Unmengen von Adrenalin in dein System.

Ruhig bleiben ist die einzig vernünftige Reaktion, nur keine unnötigen Handlungen jetzt.

Auf der Zellophanhülle bildet sich ein feuchter Film, irgendwie unangenehm.

Ein verstohlener Blick nach links und rechts, niemand da der irgendwie etwas bemerken könnte.

Du überlegst, wägst das Risiko ab.

Sein oder Nichtsein, handeln oder es lassen.

Es geht in erster Linie gar nicht um den Preis, es geht hier um den Kick!

Der Kick ist alles was du willst.

Vermutlich wirst du die CD ein paar Mal anhören und dann vergessen, aber der Kick der ist es wert.

 

Der Konsumtempel vibriert unter den Neonlichtern die die Gänge kalt und herzlos ausleuchten.

Laute Musik aus großen Boxen, immer wieder derselbe stumpfe Rhythmus.

Die sogenannten Verkäufer lümmeln gelangweilt hinter dem Beratungscounter.

Du überlegst und kalkulierst den Weg durch die Gänge hinaus aus dem Elektromarkt.

Drei Minuten, mehr nicht denkst du und beschließt zu handeln.

Die CD verschwindet innerhalb von einer Sekunde in deiner Jackentasche.

Eine vernünftige Jackentasche ist der Schlüssel zum Erfolg, du weißt es, dies ist nicht dein erstes Mal.

Und diese Jacke hat perfekte Taschen für den CD-Klau, schöne tiefe Außentaschen samt großer Abdeckklappen zum anknipsen.

Sozialistische Umverteilung, Five-Finger-Discount, For-The-Win was auch immer, scheiß drauf los geht’s.

 

Die CD verschwindet in deiner Jackentasche, nicht ganz so perfekt wie geplant da sie etwas am sanften hineingleiten hindert aber fort ist sie.

Jetzt langsam und unauffällig umdrehen. Perfekt, keine aufmerksamen Blicke die dich verfolgen.

Du spazierst in Richtung Kasse, ein paar Meter durch einen schmalen Gang nur, gerade mal für maximal zwei Personen gemacht, danach an dem großen Stapel von irgendeiner Filmneuheit auf Blu-Ray vorbei und das ist alles.

Links wird der Gang von einem langen Regal mit DVD-Angeboten und rechts mit einem langem Regal mit CD-Angeboten begrenzt.

Niemand in Sicht der dir deinen Fluchtweg versperrt, du startest.

Doch plötzlich musst du an einer kleinen Gruppe von Menschen vorbei.

Drei Menschen, vermutlich Vater, Mutter und Kind.

 

Ein fetter Mann von rund Mitte vierzig, eine durchaus gepflegte Erscheinung in seiner Khakihose und dem Button-down-Hemdkragen.

Die Frau nicht weniger adrett sieht hingegen müde aus, etwas genervt, wahrscheinlich will sie sich nicht im Elektromarkt mit der neuesten Technik herumplagen.  Alles was ihr das in der Vergangenheit gebracht hatte war eine Dampfbügelstation und eine neue Mikrowelle.

Der Sohn im Teenageralter hingegen ist ganz aufgeregt, klar, neuer Gameboy, neues Smartphone, neuer Apple-Scheißdreck – was auch immer, hier kriegt er es.

Eigentlich kein Problem für dich ganz leichtfertig an dieser Dreiergruppe vorbeizutänzeln aber dann passiert es.

Die genervte Mutter stößt mit ihrer Handtasche den Stapel von Blu-Rays um, plötzlich kracht es und  zwei Berater aus der Entertainmentabteilung  sprinten hinter dem Counter hervor. Vermutlich weniger aus Besorgnis gegenüber den Menschen oder den Produkten als vielmehr der dankbaren Szene die nun folgen wird. Tollpatschige Menschen sind immer eine willkommene Unterbrechung vom öden Stumpfsinn der unterbezahlten Arbeit.

Der Sohn lacht sich krumm über seine trottelige Mutter, der fette Vater wirkt leicht peinlich berührt und die Mutter dreht am Rad und schnaubt Feuerschwaden.

Du stehst sprichwörtlich mitten in den Linien.

Vor dir die Familie, hinter dir die Kasper der Entertainmentabteilung.

Eingekesselt, dein Fluchtplan auf dramatische Weise vereitelt.

Dein Puls kriegt eine Frequenz hin die du für unmöglich gehalten hast, Bäche von Schweiß laufen die kalt den Rücken hinunter als du merkst, dass du blöderweise schlampig geworden bist. Die verdammte CD ist zwar in deiner Jackentasche aber die Klappe deiner Tasche hat sich hinter die CD geschoben, das war nicht der Plan.

Jetzt wird dir klar warum es zu dieser kleinen ungeplanten Komplikation kam.

Eigentlich sollte die CD in der Tasche verschwinden und die Klappe sollte sich ordnungsgemäß über die Tasche legen, ganz sauber halt.

Nun sieht man klar und deutlich, dass du in deiner Jackentasche eine CD stecken hast.

Hinter dir bauen sich die Verkäufer auf, der kleinere der beiden sieht dich und er sieht den Inhalt deiner Tasche!

Sogar die tollpatschige Mutter kann die blöde CD sehen, du siehst automatisch verdächtig aus.

Du lächelst um die Situation zu entspannen, der Verkäufer lächelt ebenfalls und blickt nach links zu seinem Kollegen.

Du bist dir nicht sicher ob er nun bewusst wegsieht oder ob er seinen Kollegen etwas Nonverbales mit seinen Augen mitteilen will.

Auf jeden Fall verschwindet der andere in Richtung Counter, der andere jedoch versperrt dir konsequent den Weg nach hinten.

 

Deine Rettung ist der fette Vater als er seine Frau leicht nervös anfährt sie soll doch bitte jetzt nicht schon wieder damit anfangen. Das kann doch bitte jetzt nicht schon wieder anfangen.

Somit wird die Aufmerksamkeit von dir abgelenkt.

Sie blickt ihn mit solch einem Groll in ihren Augen an, dass du denkst sie wir ihm jede Sekunde sein Gesicht zerkratzten.

Der blöde Sohn kriegt sich vor lauter Kichern nicht mehr ein und du denkst, dass er sich vermutlich gleich in seine Designerjean pisst.

Du willst diese Situation ausnützen und scherst nach rechts aus aber dann ist auch noch der Abteilungsleiter da, du kannst jetzt nicht vorbei, weder nach hinten noch nach vorne.

 

Der verbliebene Berater kneift seine Arschbacken zusammen als der Abteilungsleiter ihn anschnauzt, dass er den Haufen Blu-Rays endlich aufheben soll damit die gute Familie endlich mit dem Shoppingvergnügen anfangen kann.

Der Vater katzbuckelt vor dem Abteilungsleiter und bittet um Entschuldigung für das Missgeschick seiner Frau.

Ganz peinlich sei ihm das Ganze, ja ganz peinlich sei es auch ihr versichert die Mutter.

Nicht doch meint der Abteilungsleiter, das kann ja mal passieren meint er, kein Malheur das Ganze.

Der Sohn sagt gar nichts, er blickt nur dämlich aus der Wäsche.

 

Du hast es geschafft deine Beute endlich besser zu verstecken, schön langsam verfluchst du dich selbst für diese Aktion aber nun ist es zu spät.

Die Kassendamen starren alle zu euch rüber, wieso müssen die auch immer die neuen Filme relativ gleich bei den Kassen präsentieren? Unbeabsichtigt bist du mitten im Auge des Sturms gelandet, selbst andere kaufwillige Besucher blicken in deine Richtung.

Deine Gesichtsfarbe ist vermutlich dunkelrot, du bist genervt, einfach nicht souverän.

Reiß dich zusammen, bleib locker, eigentlich nützt dir das ganze Chaos.

Atme durch, lass den Dingen ihren Lauf, du kannst nichts mehr tun, was getan wurde ist getan.

Deine Hände zittern leicht, dir ist abwechselnd heiß und kalt.

 

 

Der Abteilungsleiter versucht die Lage professionell zu lösen obwohl du merkst, dass er gereizt ist.

Ist vermutlich auch nicht einfach noch immer höflich zu bleiben wenn ein kompletter Turm aus neuen Datenscheiben, der auch noch gut sichtbar positioniert war einfach durch die Unachtsamkeit eines Kunden umfällt und alle Kunden nun die Reaktion abwarten. Könnte ja auch jemand anderen passieren, wie reagiert  dann das Personal im Fachmarkt?

Die Mutter hat sich bereits ein paar Blu-Rays gepackt und versucht die Unordnung zu ordnen, der Vater stupst seinen Sohn an und meint er solle gefälligst seiner Mutter helfen. Sohnemann wirkt nicht erfreut, will eigentlich abhauen aber er kann nirgendwo hin, da auch er, so wie du gefangen im Korridor ist.

Als der Verkäufer endlich den Weg hinter dir freimacht, weil er ja letztendlich die Sauerei wegräumen muss nutzt du die Chance und drehst dich um, gehst zurück zu dem langen Regal für die CDs.

 

Ruhig bleiben ermahnst du dich, verdammt bleib ruhig!

Du gehst zuerst gerade, einfach wieder an den Tatort zurück, dann biegst du nach links und nimmst einen Umweg in Richtung der Kassen.

Vorbei an Videospielen, vorbei an Batterien, vorbei an Elektronikschnäppchen aus China.

 

Dein Blick schweift zum zweiten Verkäufer, du bildest dir ein, dass er dich beobachtet. Dann fällt dir ein älterer Mann mit einem abgetragenen Anzug ins Auge. Beobachtet er dich auch?

Von ganz hinten, dort wo die Kühlschränke stehen kommt er immer näher.

Er verfolgt dich, zumindest wirkt es auf dich so. Tatsächlich nimmt er denselben Weg wie du.

Er kommt näher, du wirst etwas schneller aber jetzt darfst du nicht wirklich anfangen zu laufen!

Nur noch ein paar Meter bis zum Ausgang.
Der alte Mann folgt dir. Wohin jetzt? Nur keine falsche Entscheidung so knapp vor dem Ziel!

 

An der ersten Kasse  ist eine Schlange von vier Menschen, eher ungeeignet für ein rasches Verschwinden, zu eng für ein elegantes vorbeischlüpfen.

Die zweite Kasse ist nicht besetzt.

Bleibt die dritte Kasse.

Da bezahlt gerade jemand mit Karte, das kann dauern aber noch immer die beste Chance.

Der Typ an der Kasse tippt seinen Code in das Terminal, der alte Mann hat es nicht unbedingt eilig aber er kommt näher.

Du wirst jetzt etwas nervös, dein Körper wird mit einer kräftigen Dosis Adrenalin versorgt. Irgendwie fühlt sich dein ganzer Körper wie unter Strom gesetzt an.

The Thrill of it all denkst du, es macht dich fertig.

Der Bezahlvorgang dauert länger als erwartet und du kannst nicht vorbei weil der Typ einen Einkaufswagen vor sich stehen hat.

Wo geht der alte Mann hin?

Folgt er dir wirklich oder bildest du dir das nur ein?

Wo ist er hin, für einen Augenblick kannst du ihn nicht sehen aber da ist er.

Der alte Mann kommt ebenfalls zur dritten Kasse!

Werden nicht oft pensionierte Polizisten als Kaufhausdetektive eingestellt?

Dein Herz rast, leichte Panik macht sich breit. Hat er dich beobachtet? Hat jemand anders dich beobachtet? Hat der Verkäufer dich gemeldet?

Du musst hier raus und das schnell.

Verdammt nochmal zahl endlich!

Der Typ an der Kasse zieht die Bankomartkarte aus dem Gerät, packt seine Plastiktasche und verschwindet.

Die Kassiererin sieht dich an.

Du grinst sie an und drückst dich an dem Typ der vor dir bezahlt hat vorbei.

Irgendwie quetscht du dich an den blöden Einkaufswagen vorbei, geschafft raus hier.

 

Der alte Mann und sein alter Anzug bleiben bei der Kasse stehen. Er legt irgendetwas auf das Pult und die Kassiererin scannt den Artikel.

Also hat er nur eine Kasse mit wenig Kunden gesucht.

Du atmest etwas zu heftig aus. Deine Stirn ist feucht, deine Hände ebenso. Du musst dringend pissen.

 

Auf der Herrentoilette öffnest du den Wasserhahn und du lässt dir eiskaltes Wasser in die Hände laufen, du spritzt es dir ins Gesicht.  Danach trocknest du dir mit diesen stinkenden Papiertüchern dein Gesicht ab.

Du gehst mit ruhigen Schritten in Richtung Ausgang.

Die CD in deiner Jackentasche fühlt sich tonnenschwer an, deine Hand sucht die Zigarettenpackung.

Raus aus dem Einkaufspark und eine rauchen.

Du verlässt den Ort des Verbrechens.

Du greifst dir eine Zigarette und suchst nach deinem Feuerzeug.

Mist, kein Feuerzeug, du beschließt die andere rauchende Person um Feuer zu bitten.

Es ist die Mutter von vorhin.

Alleine steht sie da und raucht, sie sieht dich an und erkennt dich.

Mit einem Lächeln im Gesicht gibt sie dir Feuer du ziehst an der Zigarette und inhalierst einen tiefen Zug. Du bedankst dich bei ihr und sie sagt

„Keine Ursache.“

Ihr fetter Ehemann tritt auf sie zu und wirkt zerknirscht.

Ob das sein musste fragt er sie.

Ob sie nicht wisse wie unnötig ihr Verhalten sei will er wissen.

Ob sie sich nicht schäme, ob sie nicht wüsste welch ein schlechtes Vorbild sie damit abgibt?

Sie sagt sie kann nicht anders.

Sie sagt tu nicht so als ob du das nicht wüsstest.

Er plustert sich auf, läuft rot an und seine Halsschlagader wirkt dick wie ein Babyarm, quasselt immer wieder etwas von Schande und kindischem Verhalten.

Der Sohn taucht auf, in seiner Hand eine Plastiktüte samt Inhalt aus dem Multi-Medien-Markt. Er wirkt nicht gerade erfreut zu sehen, dass seine Eltern sich streiten, in seinem Alter sind Eltern sowieso per se schon peinlich genug.

Vater will endlich zum Wagen um hier zu verschwinden, Sohnemann sowieso.

Mutter will aber noch ihre Zigarette fertig rauchen. Beide männlichen Familienmitglieder verschwinden in Richtung Tiefgarage, Vater brummt irgendetwas Böses, Mutter zuckt mit den Achseln.

Sie raucht fertig und sieht dir in die Augen.

Dir ist als ob sie direkt in dich hineinsieht.

Du fühlst dich unwohl, versucht dir das nicht anmerken zu lassen, was sollte das Gezeter des Fetten? Solch eine Szene wegen einem Missgeschick?

 

„Es geht um den Kick, nicht wahr?“ fragt sie dich.

Du versucht so zu tun als wüsstest du nicht worum es geht.

„Ist schon gut, du musst es mir nicht erklären.“

Sie öffnet ihre Handtasche, darin befindet sich  eine dieser Blu-Rays aus dem Stapel den sie versehentlich umgeworfen hat. Sie grinst dich mit einer diebischen Freude an.

„Manchmal kann ich nicht anders, da überkommt es mich und ich muss einfach etwas mitgehen lassen.“ sagt sie zum Abschied und spaziert in Richtung Tiefgarage.

Du stehst da und musst unwillkürlich lachen.

Du steckst dir deine Kopfhörer in die Ohren und aktivierst deinen MP3-Player, The Smiths spielen Shoplifters o f the world unite und du verschwindest ebenfalls.